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Weihnachtsgrußwort des Landrats

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

man könnte tatsächlich glauben, dass wir im Enzkreis auf einer Insel der Glückseligen leben:
Mit einem gut ausgebauten sozialen Netz, mit einer Kriminalitätsrate, die selbst im bundesdeutschen Vergleich sehr niedrig ist, mit Arbeitslosenzahlen, um die uns fast das gesamte europäische Ausland beneidet, überhaupt mit einer insgesamt hohen Lebensqualität.
Wenn wir uns umschauen, geht es der Mehrzahl von uns weit besser als den Menschen in den meisten anderen Ländern.

Viele, die zu uns kommen, kennen Unfrieden, Unfreiheit, Unrecht und Armut in anderen Teilen der Welt. Sie erleben Europa als einen Raum des Wohlstands, der Selbstverwirklichung und in vielen Fällen auch als Schutzraum: vor Pressezensur oder staatlichen Internetsperren, vor Folter, Kinderarbeit oder Gewalt gegen Frauen.

Das schlägt sich natürlich auch in den Flüchtlingszahlen nieder: Die Zahl der Asylantragsteller ist im Vergleich zum Vorjahr bundesweit um 77 Prozent gestiegen. Für den Enzkreis bedeutet das, dass jeden Monat etwa 30 Flüchtlinge bei uns unterkommen. Hinter diesen Zahlen stehen Schicksale, stehen Menschen, für die wir Unterkünfte schaffen müssen - eine Herausforderung für den Landkreis, aber auch für die Gemeinden, denen ich an dieser Stelle für ihre tatkräftige Unterstützung herzlich danke.

Natürlich ist es mit der reinen Unterbringung der Flüchtlinge noch lange nicht getan. Deshalb freue ich mich sehr, dass sich so viele Menschen (ehrenamtlich!) engagieren und diese teils schwer traumatisierten Menschen versorgen, betreuen und begleiten. Ich danke ihnen - genauso wie den vielen anderen, die sich einsetzen – zum Beispiel um langzeitarbeitslose oder behinderte Menschen in die Mitte unserer Gesellschaft zu holen.

Das bürgerschaftliche Engagement ist im Enzkreis weit verbreitet – und dennoch mag es noch „Luft nach oben“ geben. An Möglichkeiten, sich einzubringen, mangelt es nicht: In den Parteien und Wählervereinigungen, den kommunalen Gremien und Initiativen, den Kirchen oder Vereinen. Und was im Kleinen gilt, gilt auch im Großen. „Europa braucht jetzt keine Bedenkenträger, sondern Bannerträger, keine Zauderer, sondern Zupacker, keine Getriebenen, sondern Gestalter.“ So hat es Bundespräsident Joachim Gauck kürzlich formuliert.

Eine wunderbare Gelegenheit, selbst zu gestalten, bietet sich Ihnen allen bereits im kommenden Mai bei den Europa-, Kreistags- und Gemeinderatswahlen – indem Sie wählen gehen oder, noch besser, selbst kandidieren. Ich kenne natürlich die Einwände: Was soll ich als Einzelner schon ausrichten? Was habe ich mit Politik, mit Europa zu tun? Wer blickt in diesem Dickicht überhaupt noch durch?
Zugegeben: Die Europäische Union ist kompliziert - aber sie muss auch Kompliziertes leisten. Ich finde, sie hat es verdient, dass ihre Bürgerinnen und Bürger Interesse zeigen und sich informieren. Brüssel mag weit weg sein, aber die Themen, die dort verhandelt und beschlossen werden - sie gehen jeden an.

Es darf uns nicht egal sein, wie die EU mit Menschen umgeht, die – aus welchen Gründen auch immer – ihr Land verlassen müssen. Es darf uns nicht egal sein, wie die EU auf Standards Einfluss nimmt, die dann bei uns im Kinderzimmer oder auf dem Esstisch wirksam werden. Es darf uns nicht egal sein, dass es immer noch große Ungleichheiten auf diesem Kontinent gibt, dass viele Menschen in ihrer Heimat keine Perspektive haben, aber unbedingt eine brauchen.

Deshalb bitte ich Sie: Machen Sie sich bewusst, dass es nicht selbstverständlich, ist, wählen zu können; in vielen Ländern dieser Welt gibt es keine demokratische Mitbestimmung. Und in vielen Ländern ist der Einsatz für Demokratie und das Engagement gegen Tyrannei etwas, was viel Mut verlangt. Gerade in Deutschland wurde das Wahlrecht gegen Widerstände erstritten. Es hat auch etwas mit Respekt vor diesem Engagement zu tun, das Wahlrecht ernst zu nehmen.

Verschenken Sie diese Chance auf Mitbestimmung also nicht, nutzen Sie sie. Machen Sie Ihr Kreuz für Europa. Für Ihre Kommune. Für sich.
Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie frohe Festtage und alles Gute für das Neue Jahr.

 

Ihr
Karl Röckinger, Landrat